BAJA CALIFORNIA: Der (fast) perfekte Trip



Mein vorurteilsgeprägtes Bild von Mexiko habe ich mir vor zwanzig Jahren gemalt. Nach einer kulturgeprägten Yucatan-Rundreise hatte sich damals ein Kulturschock-Badeaufenthalt in Cancun angeschlossen. So packte ich also Mexikos großartige archäologische Stätten in die Gehirn-Schublade mit Touristen-Massen, angetrunkenen jugendlichen US-Amerikanern, teuren Restaurants mit unfreundlichem Service und einer Woche Dauerregen.
Kein Wunder und ein erzieherisches Glück, dass mich die Baja California in jeder Hinsicht positiv überrascht hat.



Dabei hat alles wenig vielversprechend angefangen
Wale. Buckelwale. Grauwale. Walbullen, die aus dem Wasser springen. Walmütter, die mit ihren Jungen um Touristen-Boote schwimmen. Diese Art von Naturbeobachtung steht ganz oben auf meiner Löffelliste, also der Liste von Erfahrungen, die ich unbedingt noch machen möchte, bevor ich den Löffel abgebe. 


Deshalb habe ich eine Reise zur Baja California gebucht. Die Beschreibung des Veranstalters liest sich für mich als würde mein Traum genau dort in Erfüllung gehen. Leider entpuppt sich die Reisebeschreibung als -nennen wir es diplomatisch- missverständlich (siehe auch meinen Post „MEXIKO: Vorfreude und Nachwehen“). Bereits am ersten Reisetag erklärt mir der Guide, dass ich für Walbeobachtungen dieser Art zwei bis drei Wochen zu früh dran bin.


C’est la vie.
La Vie hat mir also bei strahlendem Sonnenschein und Meeresbrise einen ordentlichen Boxhieb auf die Nase verpasst. Und den habe ich ehrlich gesagt auch verdient. Verdient dafür, dass ich in dieses wunderbare Land gereist bin, mit zwanzig Jahre alten Vorurteilen im Kopf. Und verdient dafür, dass ich für einen Moment geglaubt hatte, meine fast zwanzig Stündige Anreise wäre völlig sinnlos gewesen, nur weil die wunderbaren Meeressäuger noch nicht vor Ort sind.
In den nächsten zwei Wochen tröstet mich die mexikanische Halbinsel im Pazifik mit grandioser Natur, spektakulären Landschaften und faszinierenden Naturbeobachtungen.




Pflanzen & Tiere
Biologen, Zoologen, Botaniker oder sonstige Naturwissenschaftler flippen in Anbetracht der vielfältigen Natur im Süden Mexikos vermutlich völlig aus. Ich finde die Tier- und Pflanzenwelt auf der kalifornischen Halbinsel einfach nur gigantisch spannend. Riesige Heuschrecken, scheue Taranteln, filigrane Skorpione, endemische Antilopen, fotogene Coyoten. Riesige Yuccas und gigantische Kakteen. Die Liste ist schier endlos. Egal wo man unterwegs anhält, entdeckt man garantiert irgendetwas spannendes direkt am Straßenrand.
Wir lassen wirklich keine Gelegenheit aus, unterwegs anzuhalten und auf Entdeckungspirsch zu gehen. Auf dieser Reise ist tatsächlich der Weg das Ziel.









Essen & Trinken
Meeresfrüchte bis man pappig satt vom Plastikstuhl fällt. Scharfe Soßen, die einem die Tränen in die Augen treiben. Perfekt bereitete Frozen Margharitas. Restaurants mit Maisblatt-Dächern, Plastikstühlen und bunten Tischdecken. Egal ob man sich abends einen Happen in einem kleinen Stadt-Restaurant, einer Art Raststätte direkt an der Straße, oder an der Hotelbar gönnt. Überall werde ich mehr als freundlich bedient. Gerichte bestelle ich zum Teil nach Optik, mit einem Fingerzeig auf den Teller des Mannes am Nachbartisch. Exotische Geschmackkombis überraschen mich jedes Mal aufs Neue. Shrimps im Kokosmantel werde ich auch jeden Fall auch zuhause ausprobieren. Mein absoluter Favorit: Geschnetzeltes aus Jakobsmuscheln mit Käse überbacken. Zum Niederknien.






Natur & Städtchen
Whale-Watching fällt zwar auf dieser Reise aus wegen „Ist nicht“, dafür gibt es aber auch keine Massen von Whale-Watchern. Egal wo wir rasten, wandern, entdecken, schwimmen oder übernachten, wir begegnen nur wenigen Mit-Touristen. Wenn nicht aktuell die „Baja Mile“ (sozusagen die Nordamerikanische Version eines „Paris Dakar Rennens“) stattfinden würde, wären wir in einigen Unterkünften die einzigen Gäste.
Es lohnt sich also durchaus oder vielleicht sogar besonders außerhalb der Hauptsaison zur Baja California zu reisen.
Spektakuläre Landschaften, liebenswerte Städtchen, Siedlungen von Rancheros. Ich genieße das alles sogar noch ein Quäntchen mehr, da sich das luxuriöse Gefühl der Exklusivität zu den unvergesslichen Eindrücken mischt.







Über & unter Wasser
Bootsausflüge in Meeresbuchten. Lagunen mit Vögeln und Tümmlern. Die Nase in den schneidenden, salzigen Wind zu strecken, und sanft oder auch mal unsanft mit den Wellen zu schaukeln. Innerlich erwacht die Abenteurerin in mir und räkelt sich nach langem Schlaf.


Auf der Fahrt zu den Los Isolotes, wo man mit Seelöwen schnorcheln kann, herrscht rauer Seegang. Wellen bis zu zwei Meter schütteln mich in einem kleinen Boot ordentlich durch. „Nordwind“ knurrt der Guide. Gerade als meine Bandscheiben die Diskussion „Bitte den Kapitän umzukehren“ gegen die innere Abenteurerin zu gewinnen scheint, stellt der junge Kapitän den Motor ab. Vor mir, Mitten im Meer, mehrere große Felsen auf denen sich tatsächlich viele Seelöwen tummeln.


„Schnorcheln.“ Der Kapitän deutet auf meine Flossen. „Äh?!“ Ratlos blicke ich zuerst ihn an, dann wandert mein Blick über den Bootsrand in den tiefblauen Pazifik. „No!“ Das klingt energischer als ich es beabsichtigt hatte. „Das Wasser ist schön warm.“ schaltet sich Guide in die einsilbige Unterhaltung ein. „Kann sein. Aber auch ganz schön tief.“ So kleinlaut wie ich gerade klinge, ist es ganz offensichtlich: Ich habe Angst. Habe ich Kiemen? Nein. Also bin ich nicht fürs Wasser gemacht. „Aber wir sind genau für das Schnorcheln mit den Seelöwen hierhergefahren. Eine Stunde haben wir gegen den Nordwind gekämpft.“ „Naja, ich dachte ich schnorchele eher an einem karibisch anmutenden Strand in flachem türkisblauem Wasser mit den Tieren.“ „Die Seelöwen wohnen nun mal hier.“ Frederico, der Guide stellt Fakten fest. Die innere Abenteurerin verschränkt die Arme und blickt ungeduldig und missbilligend. Gut. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Unverrichteter Dinge zurück zum Festland fahren, und sich schon auf der Rückfahrt über die eigene Feigheit zu ärgern, oder eine kleine Angstgrenze überwinden, todesmutig ins Wasser zu platschen und später vor stolz strotzende über den Heldenmut berichten. Oh Mann. Brille an, Schnorchel an, Flossen an die Füße.


Wenig elegant platsche ich vom Bootsrand ins Nass. Oh, tatsächlich schön warm. Kaum im Wasser schwimmen die ersten Seelöwen auf mich zu. Unter mir spielen zwei Jungtiere im Wasser. Es hat keine Minute gedauert und Angst ist gar kein Thema mehr. Ein Seelöwe apportiert irgendeinen roten Gurt. Er lässt ihn immer wieder vor mir im Wasser treiben, als wolle er sehen ob ich danach greife, schnappt ihn sich wieder und beginnt ein wildes Spiel unter Wasser. Es ist grandios. Ich bin begeistert, völlig aus dem Häuschen, überwältigt und glücklich.


Nach viel zu kurzer Zeit, als ich dann doch anfange zu frieren, missglückt der erste Versuch zurück ins Boot zu kommen. Andere Mitreisende sind zuerst dran, und ich rutsche mit der Hand vom Bootsrand ab, an dem ich mich festhalte. Dummerweise habe ich die Flossen schon ausgezogen, und bereits nach wenigen Schwimmzügen ist klar, dass man ohne Flossen nicht gegen die Strömung ankommt. In drastischer Geschwindigkeit treibe ich zappelnd, wenigstens durch eine Schwimmweste gesichert, ab. Durch die hohen Wellenkämme ist mein Kopf an der Wasseroberfläche wohl kaum noch sichtbar. Die dunkelblaue Farbe der Schwimmweste ist da auch keine große Hilft. Echt jetzt… warum gibt es denn dunkelblaue Schwimmwesten? Es ist purer Zufall, dass mich ein anderes Boot sieht, mir ein Seil zuwirft und mich zurück zu meinem Kapitän bringt. Puh. Erst später, als wir fast schon wieder zurück auf dem Land sind, wird mir bewusst, dass das ganz schön brenzlig war. Abenteuer-Diane in mir platzt vor Stolz.



Kunst & Kultur
Natur und Kultur, Landschaft und Kunst verschmelzen hier wie Ying mit Yang. Bunte Totenkopf-Motive als das sich ewig wiederholende Thema auf allen möglichen Alltagsgegenständen, Kunstwerken oder Devotionalien. Urzeitliche Kratzbilder im weichen Lavastein oder Höhlenmalereien von Ureinwohnern. Jeden Tag entdecken wir etwas Spannendes.
Selbst als diese abwechslungsreiche Reise eigentlich zu Ende ist, bietet Mexiko mir noch ein Highlight. Bei meinem Stopover in Mexiko City schaue ich mir die Stadt an, und bin völlig fasziniert von den Ausgrabungen des Templo Mayor, mitten in der Innenstadt.








Mexiko. Ich habe meine Vorurteile über Dich ad Acta gelegt. Du hast einen neuen Fan gewonnen. Ich wurde daran erinnert wie nahe Licht und Schatten zusammenliegen. Du magst in der Saison besondere Naturwunder zur Schau stellen, aber außerhalb der Saison hast Du andere, nicht weniger spektakuläre Abenteuer zu bieten. Orkane wüten alle paar Jahre über der Baja und verändern mit zerstörerischer Wut die Landschaft. Vielleicht ist das aber auch der Grund warum die Küste der Halbinsel unter Naturschutz steht und frei von Bettenburgen ist. Cabo San Lucas, der einzige Platz auf der Baja California wo sich Hotel an Hotel reiht und Höllenschiffe von Kreuzfahrtreedereien anlegen, zeigt erschreckend, dass diese menschliche Zerstörungswut einem Orkan in nichts nachsteht.



Mexiko. Bitte bewahre Dich. Bitte passe auf Dich auf, damit ich Dich bei meinem nächsten Besuch wieder so unschuldig paradiesisch vorfinde.



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